Professor Salih Yilmaz: “Moskau setzte zwischen den Regionalmächten eine Einigung durch”
Professor Salih Yilmaz von der Ankara Yıldırım Beyazıt Universität spricht mit RT Deutsch Redakteur Ali Özkök über den ermordeten Botschafter Andrej Karlow, die russisch-türkischen Beziehungen und die Sichtweise der türkischen Regierung auf den Konflikt um Syrien.
Herr Yilmaz am Tag des Attentats auf den russischen Botschafter in Ankara haben sie erklärt, dass Herr Karlow ein guter Freund von ihnen war. Wie schätzen sie seinen Dienst als diplomatischer Vertreter der Russischen Föderation in der Türkei ein?
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Richtig, ich gehöre zu jenen Akademikern, mit denen Karlow seine ersten Kontakte während seiner Amtszeit in der Türkei knüpfte. Er gehörte zu einer etwas anderen Art von Diplomaten. Er war eine offenherzige Persönlichkeit, die gerne auf menschlicher Ebene verhandelte. Karlow setzte sich stets für enge Beziehungen zwischen Russland und der Türkei ein. Seiner Meinung nach war es notwendig, die Türkei in die eurasische Welt und in entsprechendes politisches System zu integrieren.
Am Tag seiner Ermordung war er auf der Kunstausstellung, um auf kultureller Ebene zwischen beiden Staaten zu vermitteln. Auch ich war zu der Veranstaltung eingeladen. Aber weil sich ein anderes Meeting in die Länge zog, habe ich den Besuch in der Ausstellung verpasst.
Welche Rolle spielte Karlow während der Zeit, als die türkisch-russischen Beziehungen auf Eis lagen?
Während der Krise nach dem Abschuss des russischen Bombers vom Typ Su-24 durch die türkische Luftwaffe im türkisch-syrischen Grenzgebiet 2015 leitete Karlow schnell wieder Gespräche ein, um die Beziehungen zu normalisieren. Der türkischen Regierung gab er zahlreiche Tipps und Hinweise hinsichtlich der Gedanken, die sich Moskau machte.
Ich möchte erwähnen, dass rund eine Woche lang bekannt war, dass die Veranstaltung stattfindet. Der Täter konnte sich also gut vorbereiten. Er ist durch die Sicherheitsabsperrung als Polizist getarnt hineingekommen.
Das Timing des Attentats auf den russischen Botschafter Andrej Karlow, also während die türkisch-russischen Beziehungen nach langer Zeit wieder ihren Höhepunkt erleben, zeigt, dass es eine geplante Aktion war. Im Grunde ist dieser Anschlag nicht nur gegen Russland gerichtet, sondern beinhaltet auch eine Botschaft an die Türkei.
Die Biographie des Attentäters ist in diesem Zusammenhang auffällig. Als Polizist hat er eine starke Bindung an den Staat. Er erreichte sein Ziel, indem er die Nachricht übermittelte, dass Terrororganisationen wie der „Islamische Staat“, die messianische Gülen-Bewegung aber auch die PKK immer noch und trotz massiver Bekämpfung seitens der Türkei stark sind und operieren können.
Der Hinweis des Täters auf Aleppo und Syrien könnte dabei Verwirrung stiften. Seine Wortwahl, nachdem er den Botschafter erschoss, zeigt deutlich, dass er Schwierigkeiten hatte, seine islamistische Botschaft auf Arabisch rüberzubringen. Seine Botschaft war fehlerhaft und erinnert stark an eine Maskerade. Der religiöse Spruch war falsch.
Der Täter Altintas versuchte vergeblich, eine Strophe aus einem al-Qaida-Ilahi (zu Deutsch: Lied) aufzusagen. Es kann wie folgt übersetzt werden. „Wir sind diejenigen, die dem Ruf zum Dschihad dienen“. Sein Arabisch war schwierig zu verstehen. Es sah so aus, als ob er seine Kernnachricht nur mühsam und flüchtig auswendig gelernt hatte. Des Weiteren heißt es. „Wir suchen nur den Märtyrertod und unsere Verfassung ist der Koran, die Quelle unseres Stolzes.“
Vor diesem Angriff gab es am 17. Dezember in Tschetschenien bei Grozny einen Anschlag der Terrormiliz „Islamischer Staat“, die neben der in USA ansässigen Gülen-Bewegung auch zum Konglomerat des Terrors gehört. Bei diesem mussten die Terroristen von russischen Sicherheitskräften ebenfalls getötet werden. Nur kurz davor gab der tschetschenische Präsident Ramsan Kadirow bekannt, seine Republik wäre das sicherste Land der Welt. Falsch, die Terroristen setzten ein Zeichen: Tschetschenien und Russland sind nicht sicher, drückten sie aus, so wie es die Türkei während des vom Westen und der Gülen-Bewegung gestartetem Putschversuch erleben musste.
Welche Rolle spielen die USA im Nahen Osten? Warum sollte Washington die Türkei und Russland ins Fadenkreuz nehmen?
Die USA sind im Nahen Osten gescheitert. Wir wissen, dass der US-amerikanische Präsident Obama in den letzten Tagen fragwürdige Botschaften an Russland und Türkei gerichtet hatte. Nach dem Motto: „Die Türkei hat eine sehr starke Armee, aber hat diese nicht in Syrien eingesetzt.“ Und ähnlich sah es mit Obamas Stellungnahme an Moskau aus:
„Russland ist nicht so ein starkes Land wie angenommen. Sie produzieren nichts außer Erdöl, Erdgas und Waffen.“
Das deutet eindeutig auf den Groll Washingtons in Richtung Russland hin. Die USA machen für ihr Versagen in den wichtigsten Konflikten des Nahen Ostens Russland und die Türkei verantwortlich.
Was ist das Ziel der USA und wo steht dabei die Europäische Union?
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In den letzten zehn Jahren entwickelten die USA eine Strategie der Umzingelung Russlands. Zeitgleich griff die Europäische Union ein. Es geht darum, Russland geopolitisch zu isolieren. Sie versuchen mit einer osteuropäischen Erweiterungsstrategie, Länder wie die Ukraine aus dem Einflussbereich Russlands zu entkoppeln. Indem man sie die russophobe Neigung der Balten ausnutzten, wurden kurzerhand 4.000 NATO-Soldaten an der russischen Grenzregion stationiert. Für Moskau wurde also der Weg nach Europa über den Ukraine-Konflikt und mit der NATO-Mitgliedschaft des Baltikum blockiert. Die letzte Tür Russlands nach Europa ist damit die Türkei. Dieser Prozess wurde zwischenzeitlich mit dem Flugzeugabsturz am 24. November 2015 versperrt.
Wollen sie damit sagen, dass die USA und EU kein Interesse an einer Kooperation Moskaus mit Ankara hatten?
Genau, der Normalisierungsprozess der Türkei mit Israel und Russland machte dem Westen allerdings einen Strich durch die Rechnung. Diese Entwicklung ermöglicht es, dass Russland seinen Einfluss in Syrien unter diesem Druck verstärken konnte und westliche Staaten auf der gegnerischen Seite blockierte.
Die Türkei bewirkte durch ihren Widerstand gegen die kurdische YPG und dem damit einhergehenden vehementen Streit mit den USA, dass die Spielräume Washingtons im Nahen Osten kleiner wurden. Das geht vor allem darauf zurück, dass die USA ihre wichtigste Militärbasis im türkischen Incirlik unterhalten. Washington wurde von Ankara auf diesem Wege gezwungen, eine kontrollierte Politik im Nahen Osten zu verfolgen.
Aus dieser Perspektive lässt sich schließen, dass die USA einen lokalen Verbündeten bitter nötig haben, der die US- und NATO-Forderungen willig durchsetzt, anders als die jetzige türkische Regierung. Die Vermutungen reichen von der Gülen-Bewegung, die im türkischen Staat stark verankert war, die kurdische PKK, mit der die USA in Syrien verbündet sind, bis hin zur Terrormiliz „Islamischer Staat“, die lange nur zaghaft bekämpft wurde.
Welches Problem haben die USA und EU mit der Politik des türkischen Präsidenten Erdogan?
Dass, was den Westen an Ankara stört, sind nicht Menschenrechtsverbrechen oder andere Fragen, die medial gerne hervorgehoben werden, sondern seine unabhängige Außenpolitik. Die westlichen Akteure wollen die Türkei an sich binden und betrachten eine Orientierung der Türkei unter Präsident Erdogan nach Russland oder Iran als besonders problematisch. Deswegen kam die Türkei ins Visier der Europäischen Union und der USA.
Wie weit könnte eine zumindest lose Allianz Russlands, der Türkei und Irans über Syrien hinausgehen?
Der Fortlauf der russisch-türkischen Beziehungen wird maßgeblich von den kommenden strategischen Zielen der Trump-Regierung beeinflusst werden, die ihre Amtszeit am 20. Januar beginnt.
Wie bewerten sie die Zukunftaussichten des Nahen Ostens nach dem Wahlsieg des Republikaners Donald Trump?
Wenn sich die Ziele Trumps nach seinem Wahlsieg nicht geändert haben, dann wird er, wie versprochen, mit Russland im Nahen Osten zusammenarbeiten und den Führer der messianischen FETÖ-Bewegung Fethullah Gülen an die Türkei ausliefern. Dann gäbe es eine realistische Chance für einen Frieden, der nicht nur regional von Substanz wäre.
Wenn das Gegenteil eintrifft, dann könnte der jetzige Stellvertreterkrieg über Milizen und Terrororganisationen zu einem direkten und aktiven Krieg zwischen Staaten ausarten. Lassen sie es mich so erklären: Wenn die laufenden Gespräche zwischen Russland, der Türkei, USA und Iran nicht mit einer Einigung enden, dann entsteht auch das Risiko, dass die USA den Nukleardeal mit Iran aufkündigen.
In so einem Szenario könnte es dazu kommen, dass Israel seine Gelegenheit gekommen sieht, die Kernkraftwerke Irans in Buschehr endlich anzugreifen. Das wurde zuvor drei Mal von der Obama-Regierung verhindert. In so einem Szenario würde die Welt aus den Fugen geraten und zu einer aktiven Konfrontationsphase übergehen.
Lässt sich daraus schließen, dass der Westen eine Gefahr für die regionale Stabilität des Nahen Ostens darstellt?
Nicht ganz, es gibt auch Kräfte im Inland der Staaten, die nicht an Frieden interessiert sind und eine Konfrontation je nach Motivation befürworten. Nach einem Luftangriff der syrischen Luftwaffe auf türkische Soldaten in Nordsyrien drohte das Bündnis zwischen Russland, Iran und der Türkei abermals zu platzen. Manche vermuten übrigens, es war eine Drohne.
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Im Endeffekt rettete das Engagement Russlands die Kooperation. Moskau setzte zwischen den Regionalmächten eine Einigung in Aleppo durch. Nicht nur der Westen sieht das als Gefahr, sondern auch einige Hardliner unter der al-Assad-Regierung und in der iranischen Regierung. Diese erinnern teilweise an das Verhalten der Gülen-Bewegung.
Der Abschuss des russischen Bombers 2015 geht maßgeblich auf den Befehl eines Kommandeurs mit Verbindungen zur Gülen-Bewegung zurück. Die Ruhani-Regierung wird von ähnlichen Elementen unterminiert. Diese, wie die Gülenisten in der Türkei oder die Revolutionsgarde im Iran, sehen ihre Macht schwinden. Außerdem spielt die persische Auslandsopposition eine entscheidende Rolle in der Herangehensweise westlicher Staaten an Iran.
Botschafter Karlow hatte im Dezember bei Verhandlungen in Ankara nachhaltige Beziehungen zwischen syrischen Rebellen und Iran aufgebaut. In einer kritischen Zeit schaffte er es, zwischen der russischen und türkischen Regierung zu vermitteln. Er durchschaute die globalen Entwicklungen und setzte sich durch mit seinen Ansichten über eine Kooperation mit der Türkei und Iran. Er verhinderte, dass Russland und jeder einzelne Bürger der Föderation von der sunnitisch-islamischen Welt zur Zielscheibe erklärt wurde.
Aber mit dem Anschlag auf den russischen Botschafter wurde Russland doch angegriffen?
Das stimmt zwar. Nichtsdestotrotz steht die Türkei heute hinter Russland und hat im Gegenzug ein Auge auf die sunnitischen Rebellen-Milizen in Syrien. Das kostet auch die Türkei etwas. In der Sichtweise westlicher Staaten gilt die Türkei aus solchen Gründen als unsicheres Land.
Kaynak: https://deutsch.rt.com/der-nahe-osten/44586-professor-salih-yilmaz-moskau-setzte/
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